Gebietsreform Schweiz: Neustart mit bewährten Werten


Die föderale Organisation und das Subsidiaritätsprinzip haben sich in der Schweiz bewährt. Allerdings entspricht die Struktur der heutigen Kantonsgrenzen nicht mehr der Lebensrealität der Menschen und der Wirtschaft. Sie hat ausserdem zur Folge, dass in Kombination mit dem Ständemehr bei Volksabstimmungen und mit dem Gewicht des Ständerats die heutigen Kleinkantone ein übermässiges Gewicht in der Entscheidungsfindung haben. Der vorliegende Vorschlag einer Neuorganisation der Kantone soll diese Errungenschaften jedoch nicht komplett beseitigen. Das Positive an diesem „Ständesystem“, nämlich die Berücksichtigung und Gewichtung von Randregionen und ruralen Gebieten soll beibehalten und neu umgesetzt werden.

Anstelle der bisherigen 26 Kantone treten neu 17 Kantone mit möglichst ähnlicher Grösse bezüglich Bevölkerung, wobei natürlich im Alpenraum flächenmässig grosse Kantone mit geringer Bevölkerungszahl bestehen bleiben:

  • Die Kantone Graubünden, Luzern, Tessin und Wallis erfahren die geringsten Veränderungen
  • Den Grosszentren Basel, Genf, Lausanne und Zürich werden jeweils sinnvolle Einzugsgebiete mit einer Bevölkerungszahl von rund 600‘000 zugeteilt.
  • Bern wird trotz Verkleinerung am Jurasüdfuss einwohnermässig der grösste Kanton
  • Fribourg erfährt eine Bereinigung der heute viel zu komplizierten Westgrenze und eine Erweiterung nach Westen um die Region Yverdon.
  • Neuchâtel, Jura und der Berner Jura werden zu einem neuen Grosskanton Jura formiert.
  • Der südliche Teil von Solothurn, der heutige Berner Oberaargau und die Region Aarau werden zum neuen Kanton Aargau.
  • Der östliche Aargau und einige angrenzende Zürcher Bezirke werden zum neuen Kanton „Wasserschloss“, welcher die grossen Flüsse Aare, Limmat, Reuss und Rhein beheimatet.
  • Der Thurgau wird erweitert um Schaffhausen und die nordöstlichen Zürcher Bezirke.
  • Die Urkantone mit Zug formen den neuen Kanton „Waldstätte“, der seinem historischen Vorbild aus der helvetischen Republik ähnelt.
  • Glarus, die nordöstlichen Bezirke des Kantons Schwyz, die Region um den Ricken und das Zürcher Oberland formen den neuen Kanton „Linth“, der sich ebenfalls auf ein historisches Vorbild bezieht, allerdings mit einer etwas anderen territorialen Ausprägung, die den heutigen wirtschaftlichen Begebenheiten stärker entspricht.
  • Das um das Sarganserland und das Linthgebiet reduzierte St. Gallen wird mit den beiden Appenzell fusioniert.


Die neuen Kantone sollen eine einfachere, einheitlichere und wirtschaftlichere Verwaltung ermöglichen, näher an den realen Einzugsgebieten der Bürger und Unternehmen sein und dennoch ihre regionalen Eigenheiten und Traditionen gemäss dem altbewährten Subsidiaritätsprinzip praktizieren. Auf die Kantonshauptorte und die entsprechend ansässigen Kantonsverwaltungen hat dies folgenden Einfluss:

  • Baden (Kanton Wasserschloss) und Rapperswil (Kanton Linth) werden als neue Kantonshauptorte geschaffen mit einem Bezug auf deren Rolle, die sie bereits zu früheren Zeiten kurzzeitig inne hatten.
  • Heutige Kantonshauptorte, die in einem neuen Kanton aufgehen und dadurch die heutige Rolle verlieren, sollen auch inskünftig kantonale Verwaltungsstellen beherbergen: Appenzell, Delémont, Glarus, Herisau, Sarnen, Schaffhausen, Schwyz, Solothurn, Stans, Zug.
  • Alle übrigen heutigen Kantonshauptorte werden ihre Rolle beibehalten.


Bern als Hauptstadt wird beibehalten. Das Zweikammerprinzip mit dem National- und Ständerat sowie auch deren Sitzzahl und die Sitzverteilung im Nationalrat proportional zur Bevölkerungszahl ebenfalls. Neu werden die 46 Sitze im Ständerat proportional zur Territorialfläche des jeweiligen Kantons verteilt. Damit ist eine angemessene Vertretung von ruralen Gebieten und Randregionen gewährleistet, ohne diese durch eine starre Sitzverteilung „pro Stand“ zu stark zu gewichten.

© David Belart, 2023, überarbeitet im Mai 2025

Nein zum Gegenvorschlag zur Grünstadt-Initiative

In der Stadt Zürich stimmen wir am 21. Mai 2017 über den Gegenvorschlag zur Grünstadt-Initiative ab. Das tönt sympathisch und vernünftig, so dass viele von Euch ohne viel zu überlegen ein Ja einlegen werden, besonders nach Konsultation der Parteiparolen: Nur FDP und SVP sind dagegen, also sollte «man» doch das Gegenteil stimmen. Dieses Abstimmungsverhalten habe ich bei mir selber auch schon beobachtet: insbesondere bei der Sünnelipartei ist die gegenteilige Meinung ein verlässliches Indiz für Vernunft und Intelligenz.

Ein genauer Blick zeigt aber die Unnötigkeit und Fehlwirkung dieser Initiative:

  • Regulierungsdichte: Unser Leben ist bereits dermassen von Gesetzen, Verordnungen, Richtlinien, Ordnungen etc. überflutet. Jeder neue Artikel und Gesetzestext muss hinterfragt werden. Ein sachfremdes Thema wie Grünraumplanung gehört einfach nicht in die Gemeindeordnung. Der Umgang mit Grünräumen ist da wo das Thema hingehört, in den planerischen Gesetzgebung, genügend geregelt: In der Bau- und Zonenordnung und in den Richtplänen. Zusätzlich gibt es Umweltschutzgesetz, Waldgesetz, Gewässerschutz usw.
  • Gleichzeitig stimmen wir über eine Wohnbauaktion ab: Unabhängig davon, ob man dafür oder dagegen ist, werden viele zustimmen, dass es in der Stadt Zürich mehr Wohnungen braucht. Irgendwo müssen diese aber entstehen können, und das geht nun mal nur im Siedlungsgebiet. Und genau da brauchen wir nicht noch weitere Regeln, welche die Siedlungsentwicklung nach Innen erschweren.
  • Die Stadt Zürich ist so kleinräumig und überschaubar, dass auch innerhalb des Siedlungsgebietes Grünräume meistens innerhalb von wenigen Minuten zu Fuss erreichbar sind. Seien dies nun Pärke oder Grünräume innerhalb des Siedlungsgebietes (durch die BZO gesichert, s.o.), oder eben der Siedlungsrand, wo man häufig unerwartet schnell Kulturland oder Wald antrifft (durch Richtplan und weitere Gesetze gesichert, s.o.).
  • Zürich ist bereits eine «Grünstadt». Alle Grün- und Wasserflächen auf dem Zürcher Stadtgebiet entsprechen in etwa der 7.5-fachen Fläche des Central Parks von New York. Es steht ausser Zweifel, dass Zürich eine äusserst attraktive und grüne Stadt ist. Vielen ist das aber nicht bewusst! Geht einmal vor Eure Haustüre und achtet auf die Bäume und darauf, wie weit der nächste Grünraum entfernt ist. Und all das ist bereits gesetzlich mehrfach gesichert. Wir müssen nicht noch weitere Eulen nach Athen tragen!
  • Nebst den erwähnten Parteien empfiehlt auch der Zürcher Stadtverband für Sport ein Nein. Der Gegenvorschlag zur Grünstadt-Initiative erschwert oder verhindert die Erstellung von Sportanlagen. Die detaillierten Argumente sind hier zu finden: https://www.zss.ch

Deshalb empfehle ich Euch aus persönlicher Überzeugung ein Nein zum Gegenvorschlag zur Grünstadt-Initiative.

Unser verkrampftes Verhältnis zum Erdgeschoss

An einem der zentralsten Plätze Zürichs steht seit mehr als einem Jahr ein Erdgeschoss leer. Dies jedoch nicht wegen fehlender Nachfrage, sondern wegen kultur-elitärer Bedenken und nachbarschaftlichem Verhinderungsgeist:

  • Das Zürcher Schauspielhaus möchte im Erdgeschoss am Pfauen keine Nachbarn, die nicht den Vorstellungen der Zürcher Kulturelite entsprechen. Hat jemand den Eigentümer der Liegenschaft gefragt? Hat jemand die Nachfrager gefragt?

An guter Passantenlage in einem attraktiven Wohnquartier wird über einen beliebten Lebensmittelladen gesprochen. Aber nicht, weil es irgendwelche Probleme gäbe, im Gegenteil:

  • Die Wincasa möchte im Erdgeschoss einer Liegenschaft an der Limmatstrasse lieber einen coolen Trendladen als einen türkischen Lebensmittelladen. Hat die Wincasa einen Nachmieter, der mehr bezahlt? Hat jemand die Kunden des türkischen Ladens gefragt? Wer macht mehr Umsatz pro m2, der «Dirok Market» oder die zahlreichen Non-Food- und Gastor-Angebote?

Es entsteht der Verdacht, dass in beiden Fällen von einzelnen Akteuren versucht wird, Stadtentwicklung zu betreiben, die nur gewissen Partialinteressen und weltfremden Vorstellungen entspricht. Das geht am Nutzer vorbei und hat weder mit Marktwirtschaft noch mit dem breiten Interesse der Öffentlichkeit an attraktiven Strassenräumen und nachfragegerechten Angeboten zu tun.

Die Stadt sind wir. Die Stadt ist chaotisch und folgt manchmal keinen Konzepten. Die Gentrifizierung ist ein Prozess, der grundsätzlich marktwirtschaftlichen Kriterien folgt und weder gut noch schlecht ist. Sie kann beobachtet und diskutiert und vielleicht ein bisschen gesteuert werden. Sie kann aber weder von sozialromantischer Blauäugigkeit gebremst, noch von künstlicher Begeisterung und Hochglanz-Immobilienkonzepten forciert werden.

Wenn die Kantonsschülerin vom Rämibühl am Mittag in den Mc Donald’s geht, so tragen sie und ihre Eltern die Verantwortung für ihre Ernährungsqualität, und nicht die vermeintliche Zürcher Kulturelite.

Wenn der Architekt im Kreis 5 sein frisches Gemüse gerne beim Türken kauft und schon genügend andere Läden kennt, wo er seine «erfolg»-Shirts und Eames-Stühle kaufen kann, dann ist diesem Nachfrageindikator ebenfalls Rechnung zu tragen, und nicht irgendwelchen Konzepten zu folgen, die vermeintliche Trends hilflos zu antizipieren versuchen.

Angebot und Nachfrage – manchmal wäre es so einfach. Legt Euer Augenmerk lieber auf die Erdgeschosse und Aussenräume in der Agglomeration! In der Innenstadt haben wir es im Griff!

Übrigens, hier kann man unterschreiben.

Quellen:

 

Verdichten oder verdrängen?

Lieber Herr Canonica

Das Interview mit Jacques Herzog war sehr anregend. Es gelang Ihnen dabei, einen Dialog zu entwickeln, der weit über das übliche Fragen und Antworten hinausgeht. Dies beinhaltet Ihrerseits zwangsläufig einen gewissen Drang, nicht nur Fragen zu stellen, sondern den Gesprächspartner mit Meinungen zu konfrontieren um seinen Widerspruch zu provozieren. Das Risiko dabei liegt darin, dass der Interviewer dabei unreflektierte und entlarvende Feststellungen von sich gibt:

«Verdichten heisst immer auch Verdrängen»

Herzogs widersprechende Antwort ist subtil, findet jedoch im letzten Satz dieses Abschnittes die treffende und entlarvende Widerlegung Ihrer medial wirksamen, aber falschen Behauptung:

«Das Problem ist, dass die extremen Kreise sowohl der Linken/Grünen als auch der Nationalkonservativen solche Projekte bisher erfolgreich blockiert habe.»

Verdichten heisst eben nicht verdrängen, sondern genau das Gegenteil. Wenn Sie mit «Verdichten» meinen, dass auf einem Grundstück ein Ersatzneubau ein bisschen mehr Geschossflächen aufweist als der Altbau, der dafür weichen musste, im Neubau aber weniger Menschen wohnen als vorher und mehr dafür bezahlen, dann gebe ich Ihnen recht, dass das auf Kosten der ökonomisch Schwachen geht. Sie meinen aber nicht die Verdichtung, sondern die Gentrifizierung.

Wenn in der Schweiz richtig verdichtet würde, dann gäbe es keine Gentrifizierung. Dazu zwei Beispiele auf unterschiedlichen räumlichen Ebenen, welche gleichzeitig die Haltung der beiden von Herzog genannten politischen Pole repräsentieren:
– Die Stadt Zürich soll nach Meinung der rot-grünen Stadtregierung möglichst so bleiben, wie sie ist. Die Verdichtung wird in homöopathischen Dosen verabreicht. Sinnbildlich dafür ist die neue Bau- und Zonenordnung. Die Folge davon: Verdrängung in die Agglomeration.
– Die Schweiz soll nach Meinung der nationalkonservativen Kreise möglichst so bleiben, wie sie ist. Ausländer sind willkommen als Arbeitskräfte, aber nicht als Mitglieder der Gesellschaft. Die Folge davon: Verdrängung und Abschottung.

Die gegenwärtige, real existierende Konsens der politischen Pole sorgt für die genannte Verdrängung. Nicht zu verdichten heisst verdrängen. Das ist die gegenwärtige Situation in der Schweiz, welche auf einer vielleicht unbewussten, aber medienwirksam ausgeschlachteten politischen Giftmischung basiert.

Jacques Herzog hat Sie also entlarvt. Als Schweizer, der den Esel meint, aber den Sack schlägt. Oder einfach den Fünfer und das Weggli will. Die Schweiz soll prosperieren und wachsen, aber sich dabei ja nicht verändern. Und die, die etwas daran ändern wollen, predigen die Verdichtung, also ist man dagegen und findet noch ein sozial klingendes Argument dagegen.

Richtig zu verdichten ist eine geeignete Strategie für die Schweiz, um die Herausforderungen der Zukunft auf soziale, ökologische und wirtschaftliche Art zu lösen. Die bestehenden Bauzonen bieten genügend Platz, um ein kräftiges Bevölkerungswachstum aufzunehmen, urbane, durchmischte Räume zu gestalten sowie Kulturland und Natur zu erhalten. Es wird integriert, nicht verdrängt. Die «Fünfer und Weggli»-Mentalität der Schweizer hingegen birgt das Risiko, aufgrund des zwanghaften Ballenbergisierens und Konservierens der bestehenden Siedlungen, kombiniert mit dem Druck des Wirtschaftswachstums schlussendlich den Siedlungsbrei über die restlichen Grünflächen zu ergiessen. Notabene mit überproportionalen Infrastrukturkosten, weil jeder doch sein Häuschen möchte. Am Schluss sind der Fünfer und das Weggli weg, obwohl man beide so gerne gehabt hätte.

Viktor Giacobbo und Mike Müller haben es am Sonntagabend auf den Punkt gebracht, mit dem Risiko, ins Zynische abzugleiten: Flüchtlinge ertrinken im Mittelmeer, obwohl wir noch Platz für fast 3 Millionen Menschen haben, ohne einen Quadratmeter Naturraum ausserhalb der Bauzonen zu überbauen. Im Gegensatz zur Magazin-Redaktion haben die beiden Satiriker es begriffen: Nicht zu verdichten, heisst verdrängen.

David Belart, Architekt, Zürich